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Mit Pfeil und Bogen vom Amazonas nach Paris

Tobias Käufer Rio de Janeiro | Ramona Samuel Mitarbeit
2. Mai 2024

Bogenschützin Graziela Santos aus Manaus will die erste Indigene aus Brasilien sein, die sich für die Olympischen Spiele qualifiziert. Damit will sie ein Zeichen setzen und einen zweiten Traum Wirklichkeit werden lassen.

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Indigene Bogenschützin Graziela Santos mit traditionellem Kopfschmuck und Körperbemalung hält Pfeil und Bogen
Bogenschützin Graziela Santos wäre die erste Indigene, die für Brasilien an Olympischen Spielen teilnimmtBild: Privat/Emile Gomes

Die brasilianische Bogenschützin Graziela Santos ist eine Ausnahmeathletin. "Ich bin die erste indigene Frau im brasilianischen Bogensportteam", sagt sie. "Das ist ein historischer Meilenstein für uns alle." Als erste Indigene überhaupt möchte Santos für Brasilien bei den Olympischen Spielen starten. Das Ticket nach Paris wäre für sie aber mehr als die Verwirklichung eines persönlichen Traums. Es wäre gleichzeitig auch eine Auszeichnung für ein Förderprojekt im Amazonas, das junge indigene Athleten unterstützt.

Als Graziela Santos vom Projekt der Stiftung Nachhaltiger Amazonas (FAS) erfährt, ist sie noch auf der Schule. "Von dem Dorf, in dem wir wohnten, waren es fünf Stunden mit dem Boot nach Manaus. Damals gab es nur eine Grundschule", erinnert sich die Brasilianerin im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie hörte davon, dass die FAS ein Bogenschießsportprojekt aufbaute und nach interessierten Talenten suchte. "Dieser Sport stammt ja aus unserer alten Kultur, denn wir benutzen Pfeil und Bogen seit langer Zeit. Aber vor dem Projekt wusste ich nicht, dass es das Bogenschießen gibt", erinnert sich Graziela Santos.

Bogenschützin Graziela Santos im Porträt
Im Juni steht für Graziela Sontas und ihr Team die entscheidende Olympia-Qualifikation anBild: Tobias Käufer

Heute, mit 28 Jahren, gehört sie der Nationalmannschaft ihres Heimatlandes an und trainiert im Leistungszentrum der Bogenschützen in Marica im Bundesstaat Rio de Janeiro. Santos gehört zum indigenen Volk der Karapãna und stammt aus der Gemeinde Kuana am Fluss Cuieiras, etwa 80 Kilometer von Manaus entfernt. In der indigenen Sprache trägt sie den Namen Yaci ("Mond"). In Brasilien leben heute etwa 1,7 Millionen Indigene, das entspricht 0,8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch ihr Bruder Gustavo Santos ist Mitglied der brasilianischen Nationalmannschaft.

Großes Potential bei indigenen Athleten

Dass Graziela Santos eine Chance auf Olympia hat, liegt an ihrem Talent, am Trainingsfleiß, an den Trainern und der Unterstützung durch die FAS. Denn die suchte damals gezielt nach indigenen Talenten. Zwischen dem traditionellen Pfeil und Bogen und dem Olympischen Bogenschießen gibt es allerdings einige Unterschiede, die es erstmal zu bewältigen galt.

"Es gibt natürlich Gemeinsamkeiten, aber es gibt auch einige prägnante Unterschiede", erklärt Santos. "Beim Bogenschießen haben wir eine ganze Reihe von Ausrüstungsgegenständen, die Klingen, die Sehnen, den Stabilisator, das Visier, damit wir ein besseres Ergebnis erzielen können."

Santos ist überzeugt, dass Indigene ein Potential mitbringen, das noch gar nicht richtig erschlossen ist: "Wir machen alles. Wir laufen, wir schwimmen, wir schießen mit Pfeil und Bogen, wir jagen, wir fischen. Wir haben eine großartige motorische Koordination." Und deshalb könnten Indigene vom Land bei entsprechendem Willen und Anstrengung so manche Sportart auch schneller erlenen als Menschen aus der Stadt, sagt Santos.

Der Traum vom eigenen Leistungszentrum

In den nächsten Wochen entscheidet sich nun, ob es tatsächlich klappt mit dem großen Ziel Olympia. Schon jetzt aber haben Graziela, ihr ebenfalls aktiver Bruder Gustavo und die Stiftung ein Zeichen gesetzt. In einer brasilianischen TV-Show des bekannten Moderators Luciano Huck gewannen Aktivisten der FAS vor einem Millionenpublikum Geld, mit dem sie ihren Traum verwirklichen wollen: den Aufbau eines Trainingsleistungszentrums für Bogenschießen im Amazonasgebiet.

Indigene Bogenschützin Graziela Santos beim Training
Graziela Santos lebt und trainiert in Rio de Janeiro, tausende Kilometer entfernt von ihrem Heimatdorf im AmazonasgebietBild: Tobias Käufer

"Ich bin überzeugt, dass es ein erfolgreicher Weg ist, in indigene Sportler zu investieren", sagt Santos. "Wir kommen aus Dörfern und Gemeinden, die weit von Manaus entfernt sind. Und wir haben nicht die finanziellen Mittel, um nach Manaus zu fahren und dort das ganze Jahr über zu leben, die Materialien zu bezahlen und uns in einem guten Trainingslager zu halten und uns wie Hochleistungssportler zu ernähren."

Das Leistungszentrum in der Region aber würde die Möglichkeit bieten, Erfahrungen an andere junge Menschen vor Ort weiterzugeben. "Der Bau wird dazu führen, dass große Talente entdeckt werden, die wir in unserem Volk haben, und es ist wichtig, dass diese jungen Menschen ihre Heimat nicht früh verlassen, sondern in der Nähe ihrer Familien bleiben", sagt Santos und prophezeit: "Wir werden mehr Hochleistungssportler haben, die indigene Völker repräsentieren."

Vorbild für andere Indigene

Zunächst einmal gilt aber die ganze Konzentration der Qualifikation für Olympia. Die nächste Chance für ein Olympiaticket gibt es in der Türkei: "Wir müssen unter die letzten vier Teams kommen", sagt Santos. "Darauf bereiten wir uns intensiv vor, nehmen an internationalen Wettbewerben teil. Diese Wettkämpfe im Ausland sind sehr wichtig für uns, um mit dem Druck umzugehen und uns immer mehr zu verbessern."

Graziela Santos fühlt sich als eine Pionierin und ein Beispiel für andere indigene Frauen. "Mein Beispiel zeigt, dass wir fähig sind, hier zu sein", sagt sie. "Wir können unsere Ziele wählen und beweisen, dass wir sie auch eines Tages erreichen werden."